Musik:

Die schönen Leute (Konstantin Wecker)

 

Sprecherin:

„Mit jeder Operation, in der von ihrem Körper etwas abgeschnitten wurde, fühlte sich Cindy Jackson vollständiger. Sie ließ sich die Nase justieren - zweimal; die Brüste vergrößern - auch zweimal; Kinn und Kiefer verkleinern - dreimal; die Lippen aufstülpen - viermal; die Wangenknochen aufpolstern - einmal; die Gesichtshaut liften, ätzen, polieren, straffen und durch Laserstrahlen glätten - siebenmal; Fett an Oberkörper, Hüften, Oberschenkel und Knien absaugen - mehrmals; Kollagen und Botox einspritzen - auch mehrmals; Haare zumVerdek­ken von Lifting-Narben transplantieren - einmal; Zähne angleichen und neu modellieren - einmal; Zähne bleichen - mehrmals. Gesamtinvestition: umgerechnet rund 200 000 Mark, die sie sich bald durch die Vermarktung ihrer Metamorphose leisten konnte - Auftritte als lebende Barbie im Fernsehen und auf Modenschauen, Beratung für Schönheitsoperationen, eigene Radiosendungen.“

 

Sprecher:

Cindy Jackson, die zu Jahresbeginn in der Wochenzeitung Die Zeit vorgestellt wurde, hält den Weltrekord an Schönheitsoperationen. 38 mal hat sich die amerikanische Farmerstochter aus dem Mittleren Westen unters chirurgische Messer begeben, um sich einen Traum zu erfüllen, den Traum vollkommener Schönheit. Weder Zeit noch Geld hat sie gescheut, unsägliche Schmerzen auf sich genommen, den eigenen Körper wieder und wieder brutal angegriffen, um ihn in ihr Wunschbild zu verwandeln. Kritikern, die sie als Skalpellvenus und Plastikprinzessin schmähen, hält sie entgegen, sie würde nur ein elementares Menschenrecht einlösen: das Recht auf Schönheit. Der Weg zum Ideal ist jedoch unendlich, Cindy Jackson vermag auf diesem Trip nicht mehr anzuhalten, wie Carmen Butta in der Zeit weiter berichtete:

 

Sprecherin:     

„Nicht einmal gravierendere Misserfolge entmutigten Cindy Jackson. Das teure Silikonimplantat in ihrer linken Brust, zum Beispiel, fühlte sich bald ‚hart wie ein Basketball’ an. Sie ließ es einfach entfernen und durch ein kleineres Kissen ersetzen. Nach einer Operation, der zwanzigsten vielleicht, dachte Cindy Jackson ein einziges Mal wirklich daran, nicht mehr weiterzumachen. Zur Verkleinerung des Kinns waren ihr Teile des Knochens abgemeißelt worden, und in ihrem Kopf breiteten sich solche Schmerzen aus, dass sie sich fragte: ‚Wie sehr muss ich mich gehasst haben?’ Doch die Zweifel verflogen schnell wieder. Der innere Drang überwog.“

 

Sprecher:

Cindy Jackson ist ein Extrembeispiel, in der Tendenz jedoch kein Einzelfall. Sie illustriert die rasante Zunahme kosmetischer Operationen, den Boom der Schönheitschirurgie. Längst ist die neue Welle aus Amerika nach Europa hinübergedriftet. Und nicht nur Personen im Rampenlicht der Medien - Models, Popstars und Schauspieler - lassen ihr Äußeres durch Skalpell und Spritze richten. Rolf Winau, Arzt und Historiker, der das Institut für Geschichte der Medizin an der FU Berlin leitet, schildert die Situation:

 

O-Ton, Rolf Winau:

Der Markt boomt, Schönheitsoperationen sind ‚in’, bei Frauen und bei Männern, ob es immer 38 sein müssen sei dahingestellt, aber es sind viele, die ein halbes Dutzend über sich ergehen haben lassen, wohl häufiger um Körpergewicht zu verlieren, ganz gleich an welcher Stelle, auch um einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen, mehr Busen, weniger Busen, je nachdem was gerade in ist, ... kann man das Silikonkissen ein bisschen größer oder ein bisschen kleiner machen, um dem Schönheitsideal zu entsprechen. Das betrifft vor allem die Nase, die Lippen, das Gesicht, es gibt so gut wie nichts, was nicht operiert werden könnte. Die Frage ist, ob es immer operiert werden muss; es gibt sicher Operationen, die medizinisch indiziert sind, um zum Beispiel bei sehr großen Brüsten den Rücken zu entlasten, das ist sicher eine medizinische Indikation, ... aber die meisten unterliegen den Vorstellungen eines designten Bodys, was im Augenblick in der Medizin ‚in’ ist.

 

Musik:

Material Girl (Madonna)

 

Sprecherin:

Neben den Kliniken kosmetischer Chirurgie, wo sich immer häufiger auch Männer Fett absaugen lassen, - der Eingriff kostet mehrere tausend Euro -gedeiht der Freizeitsport, dem sich immer mehr Menschen zuwenden. Fitnessstudios sind wie Pilze aus dem großstädtischen Boden geschossen, neugestaltete Bäder und Wellness-Farmen haben sich etabliert. Denn längst sind es nicht mehr die klassischen Sportvereine allein, wo sich Menschen trimmen, sie tun es sehr individuell, allein oder in kleinen privaten Gruppen.

 

Sprecher:

Als Erwachsener in der großstädtischen Öffentlichkeit Sport zu treiben, war noch vor zwanzig Jahren verpönt, heute gehört es zum Alltagsbild: Menschen, die joggen, auf Inlinern über Bürgersteige flitzen, Brücken oder Monumente erklettern und an Citymarathons teilnehmen. Allenthalben wird dem Körper durch Sport, Bewegung und diverse Freizeitaktivitäten eine enorme Aufmerksamkeit zu teil, wie der Schweizer Historiker Jakob Tanner bilanziert.

 

O-Ton, Jakob Tanner :

Man könnte sogar von einer Obsession mit dem Körper sprechen ... man sieht das an diesem Fitnesskult, man könnte fast sagen, dass Identität durch Fitness abgelöst worden ist, also statt jemand zu sein, möchte man jemand scheinen, in unterschiedlichen Situationen fit sein für immer neue Aufgaben, für immer neue Erfolge. Und das sieht man auch in anderen Bereichen - ... wie zum Beispiel der Schönheitsindustrie, aber es gibt auch sanftere Formen der Modulation des Körpers wie Joggen, Burning - also man verbrennt überflüssige Energie, die sich negativ als Fett ansetzen könnte - einfach eine Normierung des Körpers hin auf neue Schönheitsideale, die etwas mit Leistung, aber gleichzeitig auch mit Fun, mit Freude, mit Vergnügen zu tun haben, und das ist ein sehr großer Widerspruch, das ergibt manchmal diese Verklemmtheit, also man muss dauernd etwas tun, man muss dauernd am Körper arbeiten, gleichzeitig soll das eben schön und lässig sein, entspannt sein, dieses Spannungsfeld ist Teil einer großstädtischen Kultur und der Bewegung, die die Menschen darin vollführen.

 

Sprecherin:

Was für ein Verhältnis haben wir heute zu unserem Körper? Warum ist er in einer Weise ins Zentrum  gerückt, dass viele von einem Körperkult sprechen? Diese Fragen verdienen umso mehr Aufmerksamkeit, als die biowissenschaftliche Eroberung des Körpers am Horizont erscheint. Die Körber-Stiftung hat zu dem Thema „Bodycheck – Wie viel Körper braucht der Mensch“ einen Forschungswettbewerb ausgetragen, an dem sich 650 junge Wissenschaftler beteiligten. In der kommenden Woche wird den Siegern der Deutsche Studienpreis verliehen.

 

Sprecher:

Über die Bedeutung des Körpers hat vor allem der französische Philosoph

Merleau-Ponty gearbeitet. Er zeigt auf, dass der Mensch ein doppeltes Verhältnis zu seinem Körper einnimmt: Einerseits beherrscht der Geist den Körper wie ein Werkzeug. Arme und Beine, Muskelkraft und Sinnesorgane gehorchen unserem Willen. Insofern hat der Mensch einen Körper. Andrerseits sind wir eins mit dem Körper, da wir ohne ihn weder wahrnehmen noch fühlen, ja gar nicht existieren könnten. Insofern ist der Mensch Leib.

 

Sprecherin:

In dieser Spannung von Körperhaben und Leibsein ist unsere menschliche Existenz angelegt. Der Körper ist für uns innen und außen, subjektiv und objektiv zugleich. Es scheint jedoch, dass die neueste Entwicklung unser Körperhaben verändert hin zu einem Körpermachen. In gewissen Grenzen hat man zwar immer schon den eigenen Körper geformt, teils indirekt durch Arbeit und Lebensweise, teils direkt durch Diät und Körperpflege.

 

Sprecher:

Nun jedoch wird der Körper in außerordentlicher Weise zu einem Projekt, zu einer Aufgabe und Verpflichtung, der man sich widmet, zu einem Genussorgan, das man kultiviert. Es gilt den eigenen Körper in Fitnessprogrammen zu formen, in kosmetischen Operationen zu bearbeiten, dabei sich an Idealbildern aus Mode und Medienwelt zu orientieren.

In seiner Studie Nacktheit und Scham hat sich der Kölner Soziologe Oliver König mit dem Thema Körper befasst. König betont, dass neue Freiheiten und Zwänge ineinander spielen:

 

O-Ton, Oliver König:

Der Körper ist nicht mehr natürlich in dem Sinne, dass man ihn hat, so wie er ist, sondern in dem Maße wie er enttabuisiert wird, d.h. öffentlich wird, öffentliche Räume hat, in denen er sich zeigen kann, sei es in der Badeanstalt, in der Sauna, im Sommer am Strand, in den Parks, in dem Maße, wie das geschieht, wird er zum Objekt der Arbeit am Körper, also die Fitnesswelle, die diversen Körpermodellierungstechniken, die beginnen in der gleichen Zeit. Alice Schwarzer ... eine der Köpfe der deutschen Frauenbewegung, hat es einmal so ausgedrückt, dass sehr schnell die Möglichkeit der Körperpräsentation zum Zwang geworden ist, also der Zwang, der klassischerweise den Frauen stärker zugeschrieben wird als den Männern, eben schön zu sein, um dieser Öffentlichkeit des Körpers bestehen zu können, das hat inzwischen aber auch die Männer erfasst, also man betreibt Arbeit am Körper, und das ist dann nicht mehr unbedingt, mit Spaß verbunden und ist eben Arbeit und nicht Freizeit.

 

Musik:

Muskeln (H. Grönemeyer)

 

Sprecherin:

In den letzten Jahrzehnten hat eine interessante Verkehrung stattgefunden: Körperliche Anstrengung ist aus der Arbeits- in die Freizeitwelt gewechselt. Die meisten Menschen üben heute sitzende Berufe aus, wo körperliche Bewegung notorisch zu kurz kommt. Diesen Bewegungsmangel möchten sie in der Freizeit kompensieren,  trainieren dabei nicht allein Fitness und Ausdauer, sondern auch Muskeln, die im Arbeitprozess längst obsolet sind. Doch es sind nicht allein gesundheitliche Motive im Spiel, vielmehr Lust und Freude, den vernachlässigten Körper auszuleben, sich im Wechsel von Anstrengung und Entspannung als lebendiges Wesen zu spüren und zu genießen.

 

Sprecher:

Im Zuge der Motorisierung der Landwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg verschwanden zunächst die Pferde von den Bauernhöfen, um später in den Reithallen des neuen Freizeitsports wieder aufzutauchen. Es handelt sich um ein Kompensationsphänomen. Ähnlich könnte man auch die so genannte Wiederkehr des Körpers beschreiben. Denn zwei gegenläufige Tendenzen bilden einen Zusammenhang: In einer Hinsicht tendiert die moderne Welt zu einer Entkörperung, da Produktion und Kommunikation vielfach technisch vermittelt sind und sich die beteiligten Menschen gar nicht mehr leibhaftig begegnen.

 

Sprecherin:

In anderer Hinsicht beobachtet man – genau entgegensetzt – ein Streben nach Verkörperung, das Bedürfnis sich unmittelbar und authentisch in seiner physischen Existenz zu präsentieren und auszudrücken.

Die Bedeutung des Körpers hat sich darin verschoben. Er ist nicht mehr primär Arbeitsorgan und Energieträger, sondern Ausdrucksmedium.  Es gilt seinen Körper so zu inszenieren, dass er auf den verschiedenen Märkten konkurrieren kann, wo es um Liebe, Karriere und soziale Anerkennung geht. 

 

Sprecher:

Eine alte Wahrheit lautete: Kleider machen Leute. Heute müsste man, so die Hamburger Sozialwissenschaftlerin Gabriele Klein, den Satz aktualisieren: Körper machen Leute.  Das bestätigt Gunter Gebauer, Philosoph an der Freien Universität Berlin.

 

O-Ton, Gunter Gebauer:

Man könnte es so sagen, dass der Körper seit einigen Jahrzehnten, stärker dazu dient, so etwas wie soziales Kapital anzuhäufen, dadurch dass man gut aussieht, stark ist oder sonstige körperliche Qualitäten vorweist, kann man sich in der sozialen Skala des Ansehens, der Beliebtheit der Anerkennung nach oben arbeiten, im Grunde genommen Punkte auch für andere Bereiche sammeln. Jemand der gut aussieht, eine Frau, die besonders hübsch ist, die mit fünfzig noch so aussieht, wie andere mit zwanzig - das sind Personen, die meinen, und vielleicht stimmt das auch tatsächlich, dass sie Werte anschaffen für ihre soziale Existenz. Eine solche Entwicklung hat es in früheren Jahrzehnten zweifellos nicht gegeben, das sind neuere Tendenzen, die man, wenn man auf Deutschland schaut, seit den siebziger Jahren beobachten kann.

 

Musik:

Die schönen Leute (Konstantin Wecker)

 

Sprecherin:

Was hat sich in unserem Verhältnis zum Körper verändert? Wie kann man den Wandel verstehen und bewerten?

Sinnvoll scheint es den Blick tiefer in die Geschichte des Körpers zu richten, um  gegenwärtige Veränderungen und Umbrüche einordnen zu können, um historische Tiefenschärfe und Urteilskraft zu gewinnen im Hinblick auf die künftige Entwicklung. Schon die Geschichte der Prothesen ist lang. Sie zeigt wie früh Menschen begonnen haben, den Körper mit technischen Hilfsmitteln auszubessern und Fehler der Natur auszugleichen.  Zum Beispiel die Brille, erläutert der Medizinhistoriker Rolf Winau:

 

O-Ton, Rolf Winau:

Die Brille gibt es eigentlich schon seit Nero, der einen geschliffenen Smaragd als Brille benutzte, weil er kurzsichtig war, und der Name Brille kommt von Beryllium also einem Edelstein, durch den man offensichtlich gucken konnte. Das Hörrohr gibt es seit dem Mittelalter; die Fußprothese, den Stelzfuß gibt es seit der Antike, aber das sind wie gesagt Prothesen, also im wahrsten Sinne des Wortes etwas, das aufgesetzt, das drangesetzt wird, - die Endothesen, die ersten eingebauten Gelenke und ähnliches gibt es in Versuchen am Kniegelenk schon am Ende des 19. Jahrhunderts, aber der große Boom setzt mit den neuen Materialien nach 1950 etwa ein, wo man dann zunächst die Hüfte ersetzt, Knie- und Schultergelenke ersetzen kann, denken Sie an die vielen Operationen, die seit 1960 am Herzen möglich sind, wo man Klappen ersetzt. Etwa 180 Möglichkeiten gibt es so etwas in den Körper hineinzubringen, und heute muss man auch unter Umständen nicht mehr die Brille auf die Nase setzen, sondern man kann durch Schleifen der Hornhaut die Sehkraft verändern, man kann bei Staroperation eine Linse implantieren, so dass die Leute durchaus wieder sehen können, man kann selbst bei der Innenohrschwerhörigkeit durch die Implantation einer technisch sehr aufwendigen Gerätes dieses Ohr wieder zum Hören bringen, da sind der technischen Entwicklung noch lange keine Grenzen gesetzt, weil vor allem alles miniaturisiert werden kann.

 

Sprecher:

Unbestritten haben die Prothesen Lebensqualität gebracht, so dass Menschen im Alter, nach Kriegen oder Unfällen sehen, hören und sich fortbewegen können. Die klassische Prothesenmedizin arbeitete auf der Folie von Gesundheit, die es wiederherzustellen galt, - nicht jedoch mit dem Anspruch, das Naturgegebene zu verschönern.

In welchem Maße bestimmt die Natur überhaupt das Wesen Mensch, und welchen Anteil hat die Kultur? Natürlichkeit und Künstlichkeit heißt ein Sammelband, den Barbara Ränsch-Trill zur Körperthematik herausgegeben hat. Sie lehrt am Philosophischen Seminar der Deutschen Sporthochschule in Köln:

 

O-Ton, Barbara Ränsch-Trill:

Ich glaube wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass wir natürliche Körper haben bzw. natürliche Wesen sind. Von Anfang an ist der Mensch Kulturwesen, und er hat sich insofern von der Natur distanziert. Dieser Distanzierungsprozess ist im Laufe der Jahrtausende, Jahrhunderte, Jahrzehnte immer weiter fortgeschritten, so dass wir natürlich auf der Suche nach einer Natürlichkeit, die sich aber immer wieder neu definiert, aus dem was eine Gesellschaft zu bestimmter Zeit als Natürlichkeit ansieht.

Wir dürfen auf den Begriff der Natürlichkeit nicht verzichten, denn er ist ein Regulativ und er war es immer, auch im Zusammenhang der abendländischen Kulturgeschichte, denn er verhindert mögliche Exzesse.

Und vielleicht darf ich darauf hinweisen, dass bereits die alten Griechen in der Stadt Athen einen Natürlichkeitsfanatiker zu verkraften hatten, und das war Diogenes von Sinope, der Mann der in der Tonne saß und demonstrierte ... dass es nicht notwendig ist, luxuriös wie die Athener zu leben. ... er war Begründer der kynischen Bewegung. Und als Kyniker war er jemand, der sozusagen Fundamentalist im Hinblick auf Natürlichkeit war und damit seinen Zeitgenossen auch ein Dorn im Auge.

 

Sprecherin:

Sich auf die Natur zu berufen geschieht, um eine herrschende Kultur zu kritisieren und wenn möglich eine Kurskorrektur herbeizuführen. Aber es sind immer schon kulturell bestimmte Wesen, die von Ursprünglichkeit und von Natur sprechen. Auch Zivilisationskritiker schauen durch die Brille ihrer geschichtlichen und gesellschaftlichen Prägung. Insofern kann man den Ursprung, die reine Natur nicht fassen. Der französische Ethnologe Claude Levi-Strauss erzählt in seinem Buch „Traurige Tropen“ vom Stamm der Caduveo, die Gesicht und Körper mit raffinierten Arabesken und geometrischen Mustern bemalen. Die Caduveo machen sich über die Missionare lustig, nennen sie dumm und unkultiviert, weil sie mit nackten Gesichtern herumlaufen.

 

Sprecher:

Auch bei den so genannten Primitiven ist der Körper immer schon kulturell bestimmt, niemals pure Natur. Sicher scheint jedoch, dass die Entwicklung einer jeden Kultur mit erheblichen Zumutungen an den Körper verbunden ist. Zumutungen, die im Fall der abendländischen Geschichte in jeder schulischen Erziehung aufs neue an die Kinder ergehen.

 

O-Ton, Barbara Ränsch-Trill:

Gerade kleine Kinder sind mit Mühe nur still zu halten und ich habe irgendwo einen sehr schönen Artikel von Hajo Eickhauf  über Stehen, Gehen, Sitzen gelesen – vor allem über die Kulturgeschichte des Sitzens. Dieser Kollege zeigt, wie das Abendland über die Maßnahmen des Sitzens zu seinen großen geistigen Leistungen gekommen ist, aber dabei eben den Körper deformiert hat. Also kein Tier, vielleicht von Primaten abgesehen, ist in der Lage so zu sitzen mit einer solchen Verbiegung des Körpers wie der Mensch, und das bedeutet, dass Blutkreislauf, Atemrhythmus und dergleichen in einer Weise eingeschränkt sind wie bei keinem anderen natürlichen Wesen. Aber das Sitzen diszipliniert, es macht den Kopf frei, und über den freien Kopf sind die tollen Theorien entwickelt worden, und das kann man schon ansiedeln beispielsweise in der mönchischen Kultur, die Mönche haben erst gestanden und dann haben sie so ein bisschen Unterstützung bekommen durch die so genannten Miserikordien so kleine Sitzhöckerchen in den Kirchen und dann haben sie gesessen und auf dem Sitzplatz konnten sie nachdenken, beten, meditieren, schreiben und dergleichen mehr.

 

Sprecherin:

Die griechische Antike pflegte noch einen recht entspannten Umgang mit dem Körper, doch schon Platon etablierte einen Dualismus von Seele und Körper, an dem sich das Abendland über Jahrhunderte hin ausrichten sollte. Denn auch das Christentum sah im Körper das Niedere im Vergleich zur Seele.  Die christliche Lehre war zwar nicht prinzipiell körperfeindlich, aber dort, wo sie platonisches Gedankengut aufnahm, vor allem bei Paulus, entwickelte sie eine Tendenz zur Körperverachtung. Die Abwertung des Körpers ging auch ins Fundament der neuzeitlichen Philosophie ein. Descartes vollzog eine radikale Trennung von Geist und Körper, wobei er den Menschen rein über das Bewusstsein, das Cogito, definierte, und den Körper als seelenlose Maschine abtat.

 

Sprecher:

Zu diesem Mainstream gab es jedoch immer wieder Gegenströmungen, Stimmen, die in Religion, Philosophie und Gesellschaft ein anderes Körperverständnis lehrten und auch vorlebten, von Diogenes, über Franz von Assisi bis zu den Barfußpropheten der Jahrhundertwende und weiter zu den Hippies der sechziger und siebziger Jahre. Jean Jacques Rousseau leitete im 18. Jahrhundert eine geistige Wende ein mit seiner Zivilisationskritik, die gegen die Unterdrückung des Körperlichen und Natürlichen aufbegehrt.

 

O-Ton, Barbara Ränsch-Trill:

Wenn man sich vorstellt, das Rousseau mit seinem Erziehungskonzept und der Beschreibung der Säuglingsbehandlung in jener Zeit doch erstaunliches berichtet: Man hört, dass dort Kinder so fest gewickelt wurden, dass sie sich nicht bewegen konnten, und dass man sie dann in Steckkissen steckte und sie an den Nagel hängte, damit sie keine Dummheiten machten und damit die Wärterin dann die Möglichkeit hatte, etwas anderes zu tun, bis sie dann schrieen und wieder gefüttert werden mussten. Wenn man das hört, wird es einem schon ganz anders, so ist es aber wohl gewesen. Der Körper ist nicht in diesem Sinne als eine wertvolle Eigenwelt erkannt worden. Das ist ein langer Prozess, der erst langsam beginnt. Das alles schleppen wir mit uns, die Aufmerksamkeit auf den Körper, das Sich-bewegen-wollen, das sich bewegen müssen, das genussvolle sich bewegen können, das ist dann so langsam im 18. Jahrhundert gekommen., Es ist interessant dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Turnerbewegung sich entwickelte, und dass im 19. Jahrhundert über England der Sport aufkam, die Freude an der Bewegung artikulierte, im Spiel, und dann um 1900 haben wir noch einmal ein gewaltigen Aufbruch der Bewegungskultur im Tanz – das ist gerade in Deutschland eine unwahrscheinliche Zeit gewesen, in der gerade die Lust an der Körperbewegung, auch zur Schau gestellt wird, als Theater, als Kunst.

 

Sprecherin:

Das Bürgertum des 19. Jahrhunderts steigerte die Leibfeindschaft nochmals ins Extreme. Es presste die Frauen in Korsetts und alle Menschen in starre Konventionen, so dass das ungelebte Leben sich hinterrücks – in Neurosen – bemerkbar machte. Erst gegen Ende des Jahrhunderts entstanden vor allem im deutschsprachigen Raum eine Reihe von Reformbewegungen; Kleider- und Lebensreform, Nacktheitsbewegung, Tanzkultur und Sportbegeisterung. Das 20. Jahrhundert hat sich in immer neuen Schüben von jener Körperfeindlichkeit befreit, der die Menschen über Jahrhunderte unterworfen waren.

 

 

Sprecher:

Der Körper erscheint dabei zugleich wie eine kulturelle Reserve, die aus langer Verdrängung zutage gefördert, nun frei genutzt, aber auch missbraucht werden kann, so wie es die Rassenideologie der Nationalsozialisten am monströsesten vorführte.

Die Befreiungsbewegung der sechziger Jahre, die so genannte sexuelle Revolution scheint im Rückblick ebenfalls von einer Ambivalenz durchzogen,  ein Wechselspiel von neuen Freiheiten und neuen Zwängen, so der Kölner Soziologe Oliver König.

 

O-Ton, Oliver König:

Einmal war es zivilisationskritisch, also die Hippies, die ganze Rock- und Popbewegung, zum anderen war das von vornherein ein kommerzielles Unternehmen. Wenn man sich Presse anschaut, kann man sehen, dass die Darstellung von nackten Körpern, einem freieren Umgang im Alltag um einiges vorauslief, d.h. die kommerzielle Darstellung von Nacktheit war ein wenig zuerst da, und hat dann erst die Räume freigeschaufelt, in denen sich tatsächlich die Lebensstile entwickeln und ausbreiten konnten.

Und umgekehrt: in den 60ern und70ern Jahren wurden diese alternativen Lebensstile noch lange Zeit hart bekämpft, und gerade auch von denen die in den Illustrierten das Geschäft mit der Nacktheit machten. So dass von heute aus gesehen man nur noch etwas zögerlich und schamhaft von sexueller Revolution und Befreiung sprechen kann, weil eben gleichzeitig der Körper - wie der Soziologe sagen würde -vergesellschaftet wurde, also zu einem Teil der kommerziellen Kultur wird, und insofern die Gesellschaft uns immer mehr an die Körper heranrückt, während wir uns gleichzeitig körperlich freier entfalten können seitdem.

 

Sprecherin:

Der Körper rückt in den Mittelpunkt privater und öffentlicher Aufmerksamkeit: er ist umworben und wird zur Schau gestellt, zu Lustgewinn ebenso wie zur Leistung angespornt. Dabei bestimmen nicht mehr Philosophie und Medizin, sondern Werbung und Medien das neue Körperbild.  So schlagen Wunschbilder der Befreiung in krankmachende Ideale um. Zum Beispiel wenn das strahlende Leitbild eines Spitzensportlers zerbricht und dahinter die ruinöse Ausbeutung seines Körpers sichtbar wird.

 

Sprecher:

Schon früh  holte die Frankfurter Schule, vor allem Max Horkheimer und Theodor Adorno zur Universalkritik aus: Die Menschen gingen einer Massenindustrie auf den Leim, hier würden sie so perfekt manipuliert, dass sie eigen- und fremdbestimmte Wünsche nicht mehr zu unterscheiden wüssten. Der Schweizer Historiker und Forscher der Körpergeschichte, Jakob Tanner, tritt zwar solchen Theorien, die einen totalen Verblendungszusammenhang annehmen, skeptisch gegenüber, nimmt aber auch die selbstzerstörerischen Gefahren wahr:

 

O-Ton, Jakob Tanner:

Ich denke wenn Menschen das tun, dann werden sie dafür Gründe haben. Über diese Gründe kann man natürlich sehr unterschiedlich sprechen, es gibt Menschen, die ruinieren sich, indem sie auf diesen Selbstverwirklichungstrips irgendwann nicht mehr mithalten können. Also leistungsorientierte Lebensstile, die über Drogenkonsum laufen, wo man sagen kann, ... wenn sie das 10 Jahre machen, dann enden sie nach ihren eigenen Vorstellungen als Wracks, als Gespenst, ... der Ruin ist irgendwie darin. Michael Jackson, oder diese Bilder von ihm, wenn man ihn in einer bestimmten Beleuchtung sieht, hat man das Gefühl, das ist eine Art Frankenstein, man sieht so ganz leichte Operationsnarben, es ist solch ein fast gespenstisch durchsichtiges Gesicht, - und gleichzeitig ist er der große reiche Popstar, der er es wirklich geschafft hat, der alle Kriterien von Erfolghaben in dieser Gesellschaft sich erfüllt hat.

 

Sprecherin:

Michael Jackson hat sich in zahlreichen Operationen in eine fragile Kunstfigur umarbeiten lassen. Doch hinter der Maske ewiger Jugend, in der er sich den Teenagern präsentiert, lugt der verdrängte Tod hervor. Je hartnäckiger man die Endlichkeit leugnet, desto mächtiger quillen ihre Anzeichen aus allen Poren. Auch die gleichnamige Cindy Jackson hat den alten Körper einer brutalen Revision unterzogen. Sie selbst erzählt davon, wie sehr sie ihre attraktivere Schwester beneidet und sich selbst abgelehnt habe. Nur an ihrer Barbiepuppe habe sie sich innerlich aufrichten können. 

 

Sprecher:

Hinter der biographischen Spur wird ein ungeheurer Selbsthaß sichtbar, der sie zu diesen brutalen Operationsexzessen anzutreiben scheint. Ein Haß auf alles Gewordene und  Gewachsene, was Familie und Herkunft mitgegeben haben.  Eine Persönlichkeit auszubilden bedeutet jedoch, zwischen dem, was man mitbringt, und dem, was man selbst wählt, eine Balance zu finden - anders gesagt: Gewordenes und Gewähltes, Freiheiten und Bindungen miteinander in Einklang zu bringen.

Cindy Jackson hat alles Gewachsene buchstäblich abgeschnitten, um von Kopf bis Fuß ihrem Wunschbild zu gleichen. Ohne Bezüge und ohne Geschichte findet ihr Leben in einem einsamen Spiegelkabinett statt. Gunter Gebauer:

 

O-Ton, Gunter Gebauer:

Ich glaube so etwas zu tun, setzt voraus, dass man einen autistischen Lebensentwurf hat. d. h. dass man abgeschnitten ist von allen Bezügen zu anderen Menschen, und dass man abgeschnitten ist von allen Bezügen zur möglichen Zukunft und einem Weiterleben von einem selbst, lebt eigentlich nur für das Projekt, dass man selber ist, vollkommen unabhängig von anderen Menschen. dass man etwas aus sich macht, ist ein Gedanke der deutschen Bildungstradition, der immer noch besteht und eine gewisse Würde hat, wie ich finde, aber aus dieses etwas aus sich etwas machen bezieht sich ja nie auf den Körper oder in der deutschen Tradition zu wenig auf das Körperliche, aber es ist klar, dass dieses etwas aus sich machen nur heißen kann, etwas aus sich machen in Bezug auf andere, und in bezug auf etwas, was über einen hinaus ist, und nicht ausschließlich als autistisches Projekt von einem selbst.

 

Musik:

Siegfried ist sexy (Hape Kerkeling)

 

Sprecherin:

Wie Narziß scheint Cindy Jackson dazu verdammt, ihr kaltes Spiegelbild zu lieben. Wir hören, dass sie keine Kinder hat, dass Liebschaften immer schneller zerbrachen, je schöner sie wurde. Außer zwei Katzen ist ihr nur ein einziger Verehrer treu,  mehr Vasall ihrer Schönheit als wirklicher Freund. Ken möchte sich im Widerschein ihres Glanzes aufhalten, wie ein Planet um die Sonne kreisen.

Cindy Jackson spiegelt im Extrem den Narzissmus der Gegenwart, ein ständiges Mit-sich-selbst-Befasstsein, das verunmöglicht, sich auf andere einzulassen.

 

Sprecher:

Stellen Schönheitsideale eine narzisstische Falle dar, in der das Individuum sich verstrickt und seine Wünsche unterworfen werden. Der französische Philosoph Michel Foucault schrieb, dass die Macht sich weniger durch Verbot und Repression äußere, sondern subtiler, in dem sie die Wünsche und Begierden des Subjekts unterwandere und infiltriere. Oliver König gibt allerdings zu bedenken:

 

O-Ton, Oliver König:

Schönheitsideale körperlicher Art hat es immer gegeben, das ist keine Erfindung der Neuzeit. Und als Ideale waren sie allemal uniform. Erstaunlich ist, wie sie sich als Ideale verändert haben, und ich würde schon heute sagen, es gibt diese Ideale, die sind auch relativ eng, aber die Frage ist, wer sich danach richtet, außer der Medienwelt und einem bestimmten Milieu, was um diese Form des personenorientierten Showgeschäftes herum gruppiert ist,... Wenn man zum Beispiel an Orte geht, wo Körper präsentiert wird, wie zum Beispiel Saunen, dann kommt es sehr darauf an, in was für eine Sauna man geht, d.h. es gibt Orte, wo dieser Stilisierung Ausdruck gegeben wird, und nur junge, hübsche, durchgestylte fite Menschen sind, aber wenn man in eine x-beliebige Vorortsauna geht, ist man geradezu erstaunt bis hin erschreckt, welches Ausmaß an körperlicher Deformation dort wie selbstverständlich zur Schau getragen wird, und man nicht das Gefühl hat, dass hier unglückliche Menschen herumlaufen, man kann dann schon am Körperlichen sehen, wie unsere Form des Lebens, in der Art wie Körper erscheinen, wie er getragen, wie Leute gehen und sich bewegen, wie das darin zum Ausdruck kommt, aber von der Selbstpräsentation der Leute ist, was Ästhetisierung angeht, dort überhaupt nichts zu spüren.

 

Sprecherin:

Auf eine Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie im Herbst 2000 behaupteten knapp 60% der befragten Deutschen:  "Ein Schönheitsideal ist mir ziemlich egal, das spielt für mich überhaupt keine Rolle. Ich möchte mich an so etwas gar nicht messen lassen." In der selben Umfrage zeigte sich allerdings auch, wie eindeutig bestimmte Vorstellungen von Schönheit verbreitet und zumindest als Ideal durchgesetzt sind. Auf die Frage, welches Bild der schönen Frau heute dominiert, antworteten 71% sie sei „vor allem schlank“. Und in Bezug auf den Mann kreuzten 69% an: „Muskulös, gut durchtrainiert.“ 

 

Musik:

Dicke (M. Müller-Westernhagen)

 

Sprecher:

Schönheitsideale wollen den Körper auf ein Bild verpflichten. Dann kann man die Körper benoten: schöne und hässliche -  in Anführungszeichen - unterscheiden.  Aber damit nicht genug. Jeder Körper erfährt auch eine innere Spaltung in aufgewertete und verpönte Seiten. Der Körperkult geht mit neuer Verdrängung einher. Oliver König:

 

 

O-Ton, Oliver König:

Man kann schon sagen, dass die Bewegung, die wir  haben eine Ästhetisierung des Körpers ist, eine Ästhetisierung, die auf Jugendlichkeit aufbaut, und damit Alter und Tod ausblendet, eine Ästhetisierung, die eher auf die Fernsinne ausgelegt ist, als auf Anschauen und Angeschautwerden abhebt und weniger, dass das in die Tat umgesetzt wird, im Sinne von Kontakt und Körperaustausch, und dann dem Berührtwerden von Schweiß und dem ganzen was dann noch mit dem Körper verbunden ist. Das ist das eigentümliche, dass die ganze inflationäre Darstellung von Körperlichkeit einhergeht - so sagen die Sexualwissenschaftler -  eher mit erlahmendem sexuellen Interesse auch bei den Bevölkerungsgruppen, die in der Blütezeit ihrer sexuellen Tätigkeit liegen, auch bei jüngeren Leuten, dass also ein Kontrast aufgeht zwischen Präsentation und einem gelebten Körperleben, also einem Kontakt mit dem anderen, also Kontakt mit dem anderen Körper. Und da gibt es schon eine Kluft und eine Ästhetisierung, was wichtig ist, die alles, was am Körper nicht ästhetisch ist, weitgehend ausblendet.

 

Sprecherin:

Den Körper zu ästhetisieren, bedeutet ihn schön und angenehm für die Wahrnehmung zu gestalten. In der westlichen Kultur dominiert jedoch einseitig das Auge. Sehen verlangt Distanz. Also wird der Körper als Objekt, als Gegenüber inszeniert. Man taucht für den anderen und für sich selbst primär als Bild auf. Dabei  ist alles Körperliche verpönt, was die glänzende Oberfläche stört, was die Kurven und Konturen unterbricht: Achsel- und Körperhaar, Runzeln und Falten, unterschiedliche Färbungen der Haut.

 

Sprecher:

Nähe stört das Bild. Sie bringt Gerüche ins Spiel: Körper schwitzen, fühlen sich verschieden an, tragen Narben, die das Leben eingraviert hat. Deshalb führt der Körperkult nicht zur sexuellen Nähe, sondern bringt die Menschen auf Distanz. In der Nähe, so hat die Bremer Kulturwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld in ihren Befragungen nachgewiesen, sei viel entscheidender, ob man den anderen riechen mag. Liebe, so ihre Forschungsthese, geht buchstäblich durch die Nase.

Überhaupt besetzt die Liebe das Persönliche am anderen, nicht das was auf den ersten Blick gefällig ist.

 

O-Ton, Gunter Gebauer:

Eindeutig, das ist auch etwas was man in der Literatur immer wieder findet, Proust, der sich fragt, warum er die Falten seiner Mutter so liebt, und gerade über die Faltigkeit des Gesichts seine Liebe zu seiner Mutter artikuliert, das ist eine Mutter-Sohn-Beziehung, die sehr eigenartig ist, aber wenn man auch den eigenen Lebenspartner nimmt, wird man so etwas auch feststellen, dass irgend welche Unregelmäßigkeiten, Charakteristik von einem so gedeutet werden, dass sie geradezu mit zur Persönlichkeit gehören.

 

Sprecherin:

Natürlich hat die Entwicklung der Hygiene, der Körperpflege, auch der Ästhetisierung Standards gesetzt, hinter die westliche Menschen weder zurück wollen noch können. Der Regisseur Fellini liebte es mitunter, in seinen Filmen skurril-hässliche Gesichter und Gestalten auftauchen zu lassen. Wer heute in einer bundesdeutschen Gesellschaft mit einem ungepflegten Gebiss herumläuft, disqualifiziert sich selbst. Er ist sozial stigmatisiert, weil die Krankenkassen dieses Mindestmaß an Ästhetik unterstützen, noch jedenfalls. 

 

Sprecher:

Aber man kann das Gedankenspiel weitertreiben. Wenn die kosmetischen Operationen fortschreiten, gentechnologische Manipulation hinzukommen, welche Standards gibt es morgen? Ist man sozialer Außenseiter, wenn man seine Schlupflider nicht operieren, kein Fett absaugen lässt, oder bestimmte gentechnologische Tests und Eingriffe  bei sich oder seinen Kindern ablehnt? Vielleicht fehlt es den meisten an Geld, ihren Körper in teuren Maßnahmen aufzurüsten und sich Lebensqualität zu kaufen? 

 

O-Ton, Oliver König:

Da gibt es schon die Idee, dass die Lebenszeit die man hat, das wissen alle, auch die Utopisten, dass sie nicht groß verlängerbar ist, dass die in einem guten zustand zugebracht werden kann, also dass man die Gebrechlichkeiten, die Mühsal des Alters, dass man sich das erspart, und das ist schon eine alte Hoffnung, der Menschen, und gleichzeitig reden wir hier von einem hochindustrialisierten Komplex, wo eine Unmenge Geld drin steckt, und wo es auch um Ungleichheiten geht, wer auf wessen Kosten sich diese Technologie, d.h. sowohl bei uns innergesellschaftlich, wer das kann, aber auch, was ja schon geschieht gegenüber anderen Gesellschaften der so genannten Dritten Welt, der Organtransfer, den es ja schon gibt, und der quasi eine ähnliche Funktion erfüllt, dass man sich in Indien eine Niere kauft, für die reichen Bevölkerungsgruppen hier, dass ist eher die Auseinandersetzung, dass der Körper jetzt zunehmend zu einem Ort wird, wo soziale Ungleichheit sich reproduzieren, während vorher der Körper etwas hatte, ein wenig quer zum Sozialen stehen konnte, natürlich ist er immer in sich sozial geformt, aber zum Beispiel für Männer in den USA der Sport, das Körperliche oder für die Frauen die Schönheit, das Körperkapital zum sozialen Aufstieg führen kann. Also gerade Gentechnologie ist man unter dem Aspekt schauen, welche Gruppierungen sich eigentlich hier Vorteile verschaffen in ihrer Lebensqualität.

 

Sprecherin:

Pierre Bourdieu, der unlängst verstorbene französische Soziologe, schrieb ein Buch mit dem Titel „Die feinen Unterschiede“. Geschmack und Ästhetik, so die These, hätten die Funktion, soziale Abgrenzung zu markieren. Wird demnächst der Körper zum Statussymbol, indem man ihm teure kosmetische Operationen, Verjüngungsprogramme und gentechnologische Manipulationen angedeihen lässt?

 

Sprecher:

Die Bedeutung des Körpers wird vermutlich noch steigen in Zukunft. Denn der Körper ist das Vertraute und Konstante in einer komplexen unsteten Welt: Während Wohnorte und Weltanschauungen ebenso rasch wechseln wie Jobs und Beziehungen, begleitet der eigene Körper das Subjekt. Er liefert, wie der Heidelberger Sportwissenschaftler Karl-Heinrich Bette schreibt, Wahrhaftigkeitsgefühle: im Körper erlebt und spürt, weiß und genießt sich das Subjekt.

 

Sprecherin:

Der Gegenpol zum Körper, der Begriff der Seele, gerät dagegen in einer säkularisierten Welt immer diffuser und zweifelhafter. In dem Maße wie der Glaube ans Jenseits aufgegeben wurde, haben sich die Menschen verstärkt dem Diesseits zugewandt. Der Körper ist nicht nur physische Grundlage, sondern letzte Sinninstanz, für manche sogar Seelenersatz. Wenn man zum Beispiel liest, wie viele Leute nach dem Besuch der umstrittenen Ausstellung Körperwelten, ihren eigenen Körper zur Plastination anbieten, um nach dem Tode als moderne Mumien Ewigkeit zu erlangen.

 

Sprecher:

Die Entkörperung in der technisierten Welt schreitet voran, daher wird wohl auch das gegenläufige Bedürfnis nach Verkörperung weiter wachsen. Wie rigide werden aber die Schönheitsideale und Bilder sein, unter denen solche Verkörperung geschieht? So aggressiv gegen alles Gewordene wie bei Cindy Jackson, oder gibt es genügend Platz für Vielfalt und Besonderheit, für Persönlichkeit, die körperlich ausstrahlt, für Charme.

 

O-Ton, Gunter Gebauer:

Ich glaube, das ist das Entscheidende, dass die Persönlichkeit sich am Körper nicht nur ausdrückt, sondern teilweise auch am Körper zu erkennen ist, sie im Körper ihren Sitz miterhält: eine Art des Augenausdrucks, des Lächelns, der Mimik, das sind alles Dinge, die können gerne alt werden, das ist kein Problem -jemand, der oder die reizvoll lächeln kann und einen hübschen Mund hat und hübsche Dinge damit sagen kann, kann das immer sagen, egal ob sie alt oder müde ist, das spielt keine Rolle. In solchen Fällen kann der Körper eine Geschichte erhalten, ohne dass er unattraktiv wird.

 

Musik:

Bei mir bist Du schön (The Andrews Sisters)