Die Philosophie und der Witz

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Platon und seine Schüler führten in der Akademie eine endlose spitzfindig-sophistische Diskussion darüber, wie das Lebewesen Mensch philosophisch zu bestimmen sei. Der Meister selbst verstieg sich schließlich zu der Definiton, der Mensch sei ein federloses zweifüßiges Tier. Überliefert wird, daß daraufhin Diogenes, der kynische Denker, auf dem Athener Markt einem Hahn die Federn ausrupfte und in die Philosophenrunde warf mit den Worten: 'Das ist Platons Mensch.'
Solche Beispiele von gelungenem philosophischen Witz, hier mit den Mitteln derbster Satire, finden sich leider selten in der Philosophiegeschichte. Während die Philosophen seit ihrem Ahnherrn Thales ob ihrer Weltfremdheit häufig selbst zum Gegenstand von Witzen anderer geworden sind, scheint es ihrem eigenen Denken bis heute an Humor zu mangeln. Eine aktuelle Ausnahme stellt der Karlsruher Philosophieprofessor Hans Lenk dar, der in einem schmalen Band eine sogenannte Jokologie kreierte, also ein Philosophieren mit Scherzen und Witzen. Dazu möchte er alle anstiften, vor allem seine Zunftgenossen, über deren falschen Ernst er sich mokiert.
O-Ton, Hans Lenk:
Man kann fast sagen: Philosophen sind ähnlich wie Politiker nicht in der Lage, sich selbst auf den Arm zu nehmen, das ist typisch bei Leuten, die sich so sehr mit ihrer Tätigkeit identifizieren, daß sie sich selber eben leicht zu ernst nehmen, und das ist insbesondere auch für große Philosophen das Problem gewesen, daß sie glaubten, nun den Ernst des Denkens und des Daseins über alles andere stellen zu müssen, daß sie zu den heiteren und leichten Seiten des Lebens kein Verhältnis mehr gewannen, aber Humor ist nicht nur, wenn man trotzdem lacht, sondern auch, wenn man in der Lage ist, sich selber zu hinterfragen oder auf den Arm zu nehmen oder die eigene Tätigkeit des Philosophierens etwas auf die leichtere Schulter zu nehmen ... - das ist klar.
Autor:
Philosophieren ist, wenn man trotzdem denkt –pointierte der Gießener Philosoph Odo Marquard, eine andere Ausnahme ihm humorfeindlichen Klima der akademischen Philosophie. Bei Marquard sind Skepsis und Humor, Kritik und Bejahung, ein fruchtbares Spannungsverhältnis eingegangen. Geistreiche Pointe und erfrischender Sprachwitz mitunter sogar ein kräftiger Kalauer bilden für Marquard keineswegs nur eine Art Abwechslung oder Pausenclownerie, wo sich der Kopf von den Mühen des eigentlichen Philosophierens erholen dürfe, sie gehören vielmehr mitten ins Denken hinein. Daran erinnert auch die Etymologie: Im Witz steckt Geist, Esprit – wie die Franzosen sagen. Der Witz ist durchaus wahrheitsfähig, indem er falschen Tiefsinn entlarvt  und Dogmatismen der Lächerlichkeit preisgibt.
Der Witz vermag die Dinge plastisch zu machen, wie es Odo Marquard an  einer Anekdote seines philosophischen Lehrers Joachim Ritter demonstriert.
O-Ton, Odo Marquard:
Joachim Ritter erzählte von dem Hamburger Laden, dessen Tür zu war, und dort hing das Schild: Wegen Eröffnung geschlossen. Und das ist nun noch kein philosophischer Witz. Zum philosophischen Witz wird es, wenn man sagt: Ja, es gibt eine ganze Reihe von Wissenschaftstheorien, da könnte man dieses Schild mühelos davor hängen: Wegen Eröffnung geschlossen. Da wird nämlich irgendwie die Philosophie erst mal geschlossen - was weiß ich, um sie besonders präzis zu machen, um Orthosprachen einzuführen und so weiter. Und wenn man fragt: Wozu macht ihr das? - Ja, wir wollen philosophieren. - Ja, und dann fragen wir: Warum philosophiert ihr denn nicht ? Ja, wir müssen doch erstmal ... - das ist dann diese Struktur: Wegen Eröffnung geschlossen.
Autor:
Marquard spottet über die Tendenz zur Selbstfixierung in der Philosophie. Denn in ihrem Anspruch, dem Denken ein zweifelsfreies tragfähiges Fundament zu legen,  war und ist die Philosophie immer wieder versucht, sich gleichsam selbst zu kastrieren, indem sie über ihrer Grundlagenreflexion das konkrete Nachdenken und Urteilen in drängenden Fragen vernachlässigt oder gar vollständig einstellt. Gegenwärtig droht diese Gefahr vor allem im Bereich der analytischen Philosophie. Sie will die Sprache – das Medium der Erkenntnis  - durcharbeiten und die logischen Unsauberkeiten und Mehrdeutigkeiten der Umgangssprache herausfiltern. Doch dabei gerät sie mehr und mehr in ein steriles Abseits, weil sie sich anstelle der sachlichen Probleme und Fragen allein den Begriffen und Satzkonstruktionen widmet.
Hans Lenk glaubt, daß aus der Selbstfixierung und Humorlosigkeit der Philosophie auch eine gewisse Angst vor einem offenen ungesicherten Denken spricht.
O-Ton, Hans Lenk:
Philosophieren ist eben auch ein durchaus schwieriges Geschäft in diesem Gestrüpp verschiedener Ansätze und einem relativ chaotischen intellektuellen Zuschnitt der Probleme in der jetzigen Welt.
Und ich denke, daß man da einigen Mut beweisen muß, daß man natürlich etwas wagen muß, daß man im gewissen Sinne offen bleiben muß für Änderungen, insbesondere auch für Selbstkritik, und daß die Philosophie über die traditionelle Aufgabe der absoluten Letztbegründung hinaus, vielmehr Mut zu konstruktiven, spekulativen Entwicklungen, eher tastender oder auch versuchsweiser Art gewinnen muß, so etwa nach dem Motto des berühmten polnischen Aphoristikers Stanislaw Lec: "Philosophische Konstruktionen sollten so leicht sein, daß sie zusammenbrechend ihren Schöpfern keinen Schaden zufügen".
Autor:
Aber gegenüber der Leichtigkeit des Witzes und gegenüber dem Lachen hält sich ein altes Vorurteil, in Deutschland noch hartnäckiger als in Frankreich oder Italien. Man glaubt, Witz und philosophischer Ernst seien unverträgliche Gegensätze. Die Philosophie habe sich mit den ernsten Phänomenen zu befassen, mit den tiefsten und letzten Gründen des Seins, mit den existentiellen Fragestellungen von Leben und Tod; dagegen  gehöre der Witz auf die unernste Seite des Daseins, wo sich alles nur um komische Situationen, oberflächliche Späße und harmlose Verwechslungen, mit einem Wort: um Belanglosigkeiten drehe. 
Gegen dieses langgehegte Vorurteil hat Nietzsche gestritten: Die Tiefe müsse nicht immer wahr sein, und man solle die Oberfläche nicht geringschätzen.
Wie Nietzsche liebt es Marquard mit leichter Feder zu schreiben, witzig und pointiert. So verfaßte er keine dicken Bücher, sondern kurze prägnante Aufsätze in einem Stil, der ihm den Sigmund-Freud-Preis für wisssenschaftliche Prosa eintrug. Marquard errichtet kein Theoriegebäude. Sein Denken bezeugt vielmehr ein praktisches Philosophieren, das sich und andere in Lebenskunst einübt, wo Witz und Weisheit, Lachen und Ernst immer wieder überraschende Bündnisse eingehen.
O-Ton, Odo Marquard:
Ich möchte eine Philosophie haben, die ich auch in schweren Le­­bensaugenblicken noch bemerke, die mir dann noch etwas sagt, ... und auf dem Level möchte ich sie halten. ... Also philosophi­sche Texte zu schreiben, von denen ich erwarte, daß andere sie le­sen nur deswegen, weil sie da sind, ist erstens unanständig, - Texte sind immer Belästigungen anderer Menschen, die müssen sie ja le­sen, oder jedenfalls erwartet man das, und das ist doch eine Zu­mu­tung ersten Ranges. - Also was müssen Texte tun? Sie müssen Buße dafür leisten, daß es sie gibt. Wodurch leisten sie am besten Buße dafür, daß es sie gibt? - Dadurch daß sie amüsant sind. Daß sie Pointen haben, daß sie gewisse ironische Züge haben, jeden­falls nicht langweilig sind. Und ich habe mich bemüht so zu schreiben, ob das immer gelungen ist, ist eine andere Frage, und zwar deswegen letztendlich zunächst einmal, weil mich selber meine Texte nicht interessieren, wenn sie diese Qualität nicht haben. ... Ich sage, das hat beides viel­leicht mit­einander zutun, eine Philosophie zu machen, die man in schweren Lebenslagen noch bemerkt, das ist vermutlich eine solche, die doch so ernst ist, daß man sie nur aushält, wenn man sie scherzhaft for­muliert. So hängt beides zusammen, ja.